Top auf Graubünden 2004

Top Of Graubünden

August/September 2004 (7 Etappen, 416 Km, 12300 Höhenmeter)

Sascha und ich (Wolle) haben uns im Sommer 2004 dem schweizer Mountainbike-Guru Gerd Schierle anvertraut, um die Highlights des größten Kantons zu erfahren.
Die Tour basiert auf einer Leserreise der Zeitschrift Bike aus dem Jahr 2003. Weitere Infos gibt´s unter www.bike-explorer.ch

Etappe 1: von Chur nach Savognin (29.08.)

Start der Tour ist in Chur, der ältesten Stadt der Schweiz

Die Übernachtung vor der ersten Etappe war nicht im Angebot, deshalb haben wir diese in Eigenregie gebucht. Kein Problem, dank Internet. Dank Internet haben wir jetzt ein Zimmer mit fließendem Wasser ohne Dusche, dafür aber mit Klo im Treppenhaus und einem derart schiefem Boden, dass wir die erste Bergetappe bereits am Vorabend der eigentlichen Tour absolvieren können. Was soll´s, die Chefin des Hauses ist sehr freundlich und wir wollen ja nur eine Möglichkeit, vor den Strapazen der Tour noch einmal in Ruhe schlafen zu können. Hätte wahrscheinlich auch funktioniert, wenn nicht dummerweise das Fenster direkt zur Hauptstrasse gezeigt hätte und nicht ausgerechnet in dieser Nacht eine Fete auf eben dieser Straße bis 4 Uhr stattgefunden hätte.

Am nächsten Morgen geht´s dann endlich los. Wir treffen uns auf einem Parkplatz, um die Klamotten zum Gepäcktransport abzugeben und um unsere Guides kennenzulernen. Sascha und ich werden zusammen mit 7 anderen Bikern in der mittleren Gruppe von Christian geführt.

Der Weg führt uns auf einem alten Polenweg am Hinterrhein entlang ins Domleschg, dem Burgenland der Schweiz. Jetzt geht es steil bergauf über den Schyn, einem historischen, teilweise in den Fels gesprengten Saumweg. Ein Highlight ist ein ca. 50m langer Tunnel, in dem wir die Hand nicht vor Augen sehen. Wir tasten uns an einer Haltestange entlang in dem Vertrauen, nicht in irgendein Loch zu fallen. Anschließend geht´s weiter bis zu einer Höhe kurz vor Muldain, wo wir erst mal unsere Lunchpakete futtern.

Nach einer langen Abfahrt erreichen wir die Solisbrücke, die sich in einem gewaltigen Bogen über die Albulaschlucht spannt. Auf Schotter-, Feld- und Waldwegen gelangen wir entlang der Dörfer Stierva, Mon und Riom ins Oberhalbstein und zu unserem ersten Etappenziel Savognin.

Etappe 2: von Savognin nach Pontresina (30.08.)

Von Savognin aus fahren wir auf einem Forstweg talaufwärts bis in die Nähe von Alp Flix. Zur Orientierung: parallel zu unserer Strecke führt auch die Julierpassstraße.

Auch heute ist uns das Wetter wieder wohl gesonnen. Auf den Höhen weht zwar ein kalter Wind, aber es ist trocken und sonnig.

Am gewaltigen Marmorera-Stausee entlang fahren wir nach Bivio. Hier trennen sich Julier- und Septimerpassstraße. Wir wählen den Bergwanderweg zum Septimerpass. Oben angelangt vertilgen wir in der Schutzhütte auf 2310 Metern erstmal unser Lunchpaket.

Auf der anderen Seite geht es auf einem alten Saumweg (Grenzweg) ins Bergell nach Casaccia. Der Steinplattenweg wurde zu Römerzeiten angelegt und ist noch fast vollständig intakt. Trotzdem ist er alles andere als leicht fahrbar und auf den anspruchvollsten Teilstücken schieben die meisten.

Für einen Mitfahrer kommt hier leider und unerwartet das Ende der Tour. Beim Absteigen vom Rad rutscht er ab und verletzt sich am Knöchel. Wir stützen ihn bis zum nächsten Fahrweg, wo er dann in Richtung Krankenhaus abtransportiert wird.

Der Rest der Gruppe fährt weiter auf Teerstraße zum Malojapass. Wir geniessen eine tolle Fernsicht und biken dann ins Oberengadin.

Entlang der gleichnamigen Seen führt uns der Weg zum Nobelort Sankt Moritz. Ich werde das Gefühl nicht los, hier nicht besonders willkommen zu sein.

Durch den Stazer Wald erreichen wir nach satten 2190 Höhenmetern Pontresina

Etappe 3: von Pontresina nach Santa Maria (31.08.)

Heute erwarten uns gleich 4 Pässe: Berninapass, Livignosattel, Passo Alpisella und Passo die Fraele. Die Namen deuten schon darauf hin, dass wir uns auch auf italienischem Terrain bewegen werden.

Der Morgen beginnt mit Nebel und entsprechend trist wäre auch die Auffahrt auf Teer zum Berninapass geworden, wenn es da nicht die „Kleine Rote“ gäbe. Die Rhätische Bahn ist immer ein Foto wert, wenn sie sich über Viadukte und durch Tunnels über die Pässe schraubt. Selbst bei diesem ungemütlichen Wetter können wir offene Cabrio-Waggons erblicken.

Verwehrt bleibt uns aufgrund der schlechten Sicht allerdings der Blick auf den Piz Bernina, der mit seinen 4048 Metern der höchste Gipfel der Ostalpen ist.

Am Berninapass passieren wir den Lago Bianco und endlich weg vom Teer fahren wir einen Singletrail zum Livignosattel. Der Forcola di Livigno bildet die Grenze nach Italien und der anschließende Weg führt ins Zollausschlussgebiet Livigno. Hätten wir größere Rucksäcke mitgehabt, würden wir gewiss die ein oder andere Flasche Alk mitnehmen.

So genießen wir die Abfahrt zum Livignosee und den weiteren Weg zum Pso. Alpisella, an dessen Fuß wir Mittagspause machen. Frisch gestärkt mit einem fürchterlich süßen Gesöff (Rivella oder so ähnlich, hat in der Schweiz wohl Kultstatus), erklimmen wir auf alter Militärstraße den Pass. Dabei kommen wir zu der Erkenntnis, dass ein breiter Lenker nicht immer gut ist: auf den schmalen Brücken bleibst du schlicht und einfach damit stecken.

Durch das Val Alpisella fahren wir auf einem genialen Trail abwärts zum Lago di S. Giacomo. Das muss es sein, wenn Stefan Hermann und Co. von „Bikesurfen“ sprechen. Ein Singletrail windet sich endlos und mit mäßigem Gefälle durch die Wälder des Tales bis zum See hinab. Ich fahre hinter Chris, unserem Guide, und wünsche mir, dass dieser Weg niemals endet.

Vom Val Alpisella geht es über den Passo di Fraele ins Val Mora und auch zurück in die Schweiz. Das Val Mora ist ein rauhes, wildes Tal, fernab jeglicher Zivilisation. Karl May hätte sich hier bestimmt wohl gefühlt. Über Döss Radond, einer weiteren Anhöhe, fahren wir ins Val Müstair, das uns mit seinen grünen, bewaldeten Hängen zum Etappenziel Santa Maria führt.

Im Hotel Stelvio lassen wir nach einem interessanten Vortrag der Besitzerin und einem genüsslichem Essen den Abend bei einem kühlen Weizenbier ausklingen.

Etappe 4: von Santa Maria nach Scoul (01.09.)

Die 4. Etappe beinhaltet gleich mehrere Besonderheiten: sie enthält den längsten durchgehenden Anstieg von 1350 Höhenmetern, sie beinhaltet die grandiose Uinaschlucht und sie ist für die Kurztourer die letzte Etappe. Auch die Leserreise der Zeitschrift Bike, Grundlage für diese Tour, endet mit diesem Teilstück.

Wir starten am Hotel Stelvio und folgen weiter dem Val Müstair. In Müstair halten wir kurz, um uns das Kloster St. Johann anzuschauen, das von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurde.

Ständig bergab geht´s über die italienische Grenze ins Vinschgau. Die letzten Höhenmeter werden vernichtet und wir erreichen Pt. di Calva auf einer Höhe von 971m.

Ab hier geht´s besagte 1350 Meter bergauf zum Schliniger Joch. Auf halbem Weg legen wir in Schlinig eine kurze Verschnaufpause ein. Kurz vor dem Joch, das gleichzeitig auch die Grenze zur Schweiz bildet, kehren wir in der Sesvennahütte zum Mittagessen ein. Bei der Rast haben wir die Wahl zwischen brennendem Sonnenschein und zugigem Schatten. Sascha´s Hautfarbe zeigt, dass er die erste Alternative gewählt hat.

Nach Sesvennahütte und Schliniger Joch fahren wir auf einem Hochplateau, dass sich mehr und mehr verengt und somit den Etappenhöhepunkt ankündigt: die Uinaschlucht.

Auf einer Länge von ca. 1Km ragen die Felswände rechts und links der Schlucht senkrecht empor. Die Schlucht stellt in dieser Region die einzige Verbindung zwischen der Schweiz und Italien dar. Um sie begehbar zu machen, wurde Anfang des 20. Jahrhunderts auf Initiative des Schweizer Alpenvereins etwa auf halber Höhe der Felswand ein Weg in den Stein gesprengt. Kosten des damaligen Projekts: 100.000 Schweizer Franken.

Der Weg ist nur zum Teil mit einem Geländer abgesichert und auch das macht nicht immer einen vertrauenserweckenden Eindruck. Ansonsten gibt´s ein im Fels befestigtes Halteseil. Was auf den Bildern nicht ersichtlich ist: es geht zum Teil recht steil bergab. Bei entsprechender Vorsicht alles kein Problem. Nur fahren sollte man hier nicht: jeder Fehler könnte der letzte sein!

Nach diesem eindrucksvollen Kilometer öffnet sich die Schlucht zum Tal, eben dem Val d´Uina. Nach anfänglichem Wechsel zwischen Fahr- und Schiebepassagen ist der untere Teil komplett befahrbar. Am Ende des Tales erreichen wir Sur En. Ich komme als letzter an, zu oft habe ich anhalten müssen, um die Vielzahl an Eindrücken zu verarbeiten.

Von Sur En fahren wir am Inn entlang (der ist wahrhaftig grün) bis nach Scoul. Beim Hotel Bellaval verabschieden wir uns von den Kurztourern. Die fahren ab hier mit der Rhätischen Bahn zurück nach Chur.

Wir (die 19 übrig gebliebenen Teilnehmer) genehmigen uns erst einmal das obligatorische Weizen und sind gespannt, ob die restliche Tour das heute erlebte noch toppen kann.

Etappe 5: von Scoul zur Keschhütte (02.09.)

Auch wenn´s jetzt keine Leserreise mehr ist, es bleibt eine Tour voller Höhepunkte. Durch das Unterengadin mit seinen verträumten und noch im Urzustand erhaltenen Dörfchen werden wir bis zum höchsten Punkt der Tour vorstoßen: die Keschhütte liegt auf 2632 Metern.

Mal wieder scheint die Sonne (unglaublich)! Da unser nächstes Etappenziel nicht mehr mit KFZ erreicht werden kann, kommt alles Notwendige für die Übernachtung in den Rucksack.

Wir fahren über Feld- und Waldwege durch´s Unterengadin und immer am Inn entlang. Dabei passieren wir die kleinen Dörfer Ftan, Ardez, Bos-cha, Guarda, Lavin und Susch. Besonders in Guarda scheint die Zeit stehengeblieben zu sein.

Die Häuser sind überwiegend in ihrem Originalzustand erhalten geblieben und liebevoll mit Sgraffitomalereien verziert. Grund genug, anzuhalten und staunend ein paar Minuten zu verweilen.

Weiter am Inn entlang erreichen wir Zernez, wo wir Mittagspause machen. Dass der Chef (Gerd Schierle) mal wieder mit von der Partie ist, macht den besonderen Charakter der Tour aus: alles ist sehr familiär und von einer freundlichen Atmosphäre geprägt. Auch Gerd´s Frau und der Nachwuchs sind oft dabei.

Von Zernez geht´s weiter am Inn entlang bis nach Susauna. Nachdem wir dort in einem Café die weltbesten Apfel-Nuss-Schnitten genossen haben,begeben wir uns auf die lange Auffahrt zur Keschhütte.

Den Anfang bildet das Val Susauna, durchgängig fahrbar. Das Tal endet auf einem Plateau, der Alp Funtauna. Ob die dortige Alm noch bewirtschaft wird, ist nicht ersichtlich. Zumindest entdecken wir eine Kuh, wahrscheinlich ist sie die Pächterin des Anwesens.

An die Alp Funtauna schließt sich das Val Funtauna an. Der Trail wird steiler und unwegsamer, Schiebepassagen häufen sich. Interessant ist, dass wir in diesen Höhen über 2500m immer noch von Grün umgeben sind, wo sonst oft nur Geröllhalden die Bergrücken zieren.

Am Nachmittag erreichen wir die Keschhütte, ein im Jahr 2000 fertiggestelltes modernes Energiesparbauwerk, das mit seinen Sonnenkollektoren, Photovoltaik-Zellen und einem eigenen Brunnen keine externe Versorgung benötigt.

Nachdem wir alles Gepäck verstaut, das Nachtlager vorbereitet und uns geduscht haben, können wir noch ein ganz besonderes Naturschauspiel erleben: Die Sonne scheint tiefrot unterhalb einer hochliegenden Wolkendecke hindurch und lässt die Geröllmoräne des gegenüberliegenden Porchabella-Gletschers unterhalb des Piz Kesch wie glühende Lava leuchten.

Nach fünf Minuten ist alles vorbei, wir gehen wieder in die Hütte und lassen es uns bei einem 3-Gänge-Menü gutgehen.

Etappe 6: von der Keschhütte nach Arosa (03.09.)

Die 6. Etappe ist für mich die schwierigste. Zwar ist es nicht die einzige Etappe mit 2000 Höhenmetern bergauf, aber die 2750m bergab bestehen aus 2 äußerst anspruchsvollen Abfahrten. Etappenziel ist die Touristenhochburg Arosa, wo sich ähnlich wie in Davos im Winter die Skifahrer gegenseitig die Luft zum Atmen nehmen. Zum Glück liegt noch kein Schnee.

Die Nacht in der Keschhütte war nicht sehr lang, ich wache viel zu früh auf. Immerhin gibt mir das die Möglichkeit, einige schöne Bilder vom Sonnenaufgang am Piz Kesch zu machen, denn: wie nicht anders zu erwarten, haben wir wieder mal gutes Wetter.

Nach dem Start bei der Hütte geht es direkt auf die erste knifflige Abfahrt, um 1500 Höhenmeter zu vernichten. Ausgesetzte Wege, verblockte Trails und Geröllpisten, da geht es richtig zur Sache.

Hinzu kommt noch ein anderes Phänomen: durch die Bremserei bergab wandert der Reifen meines Vorderrads auf der Felge und nimmt dabei den Schlauch mit. Nach jeden 1000 Höhenmetern steht dann das Ventil derart unter Spannung, dass ich das Vorderrad rumdrehen muss. Wie gut, dass ich keine Scheibenbremse habe!

Im Tal angekommen erreichen wir Filisur, wo wir unser Gepäck wieder abgeben und unsere Lunchpakete aufnehmen können.

Das nächste Highlight ist der Wiesner Viadukt. Eine Eisenbahnbrücke spannt sich in 100m Höhe in der für die Schweiz üblichen Rundbogenbauweise über die Schlucht. Der Weg führt direkt neben der Bahntrasse über das Bauwerk.

Wenig später erreichen wir die Bahnstation Wiesen, die älteste in Graubünden. Auch hier scheint die Zeit wieder stehengeblieben zu sein: nicht nur alt, sondern auch gut erhalten und sauber präsentiert sich uns der Bahnhalt.

Es folgt die Zügenschlucht, in der Anhalten aufgrund der erhöhten Steinschlaggefahr verboten ist. Die Zügenstraße, eine Mischung aus Schotterstrecke und breitem Feldweg, war bis in die 70er Jahre die einzige Verbindungsstraße in dieser Gegend.

In Frauenkirch verlassen wir das Tal und beginnen die beschwerliche Auffahrt zu Maienfelder Furrga, einem Sattel in über 2500 Metern Höhe. Nach einer kurzen Pause kommt der Schlussakt der heutigen Etappe: die steile Abfahrt nach Arosa. Noch einmal ist äußerste Konzentration gefragt.

Als wir unser Hotel erreichen, ist es schon Abend. Da soll mal einer sagen, bergab fahren geht schneller als bergauf!

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