Massa Marittima, Toskana 2005
oder: Allein unter Schweizern
oder: Mein Leben als Exot in Italien
oder: Schwiezerdütsch für Anfänger
Liebes Tagebuch …..
Wir schreiben das Jahr des Herrn 2005. Nach monatelanger Planung war es wieder soweit. Unsere diesjährige Tour von uns „mittelalten“ Gouda, ähh… Mitgliedern Udo, Stefan, Martin und Joachim (meinereiner) führte uns in die schöne Toscana zum Städtchen Massa Marittima.
Oblag es für die Sizilien-Tour 2003 noch Stefan, sich um Gefährt und Heimstatt zu sorgen, war ich diesmal in die Pflicht genommen, ein adäquates Quartier mit dem in unserem Alter zu berücksichtigenden Komfort für den Trip auszuwählen.
Intensive Internet-Recherchen über einen Zeitraum von 3 Wochen führten dann zu dem Ergebnis, dass als Ziel der Agritursimo „Massa Vecchia“ (Sprich: “ Massa Vekkia“) nahe Massa Marittima gewählt wurde.
Am katholischen Feiertag „Himmelfahrt“ ging´s dann auch himmelwärts via Ryan-Air vom Flughafen Hahn nach Pisa. Pünktlich wie wir vor Ort waren, wurden alle beim einchecken von den Mitarbeitern der Fluggesellschaft angemeckert, nächstens etwas früher = pünktlich zu sein. : – (((
Trotz unserer Pünktlichkeit ging es gemäß Flugplan auch pünktlich auf die Reise, die nach kurzen 75 Minuten schon vorbei war.
Nach dem Auschecken wurde der bestellte Leihwagen direkt vor Ort am Flughafen von Pisa aufgepickt. Entgegen unseren Befürchtungen und Erfahrungen aus Sizilien diesmal auch ohne den obligatorischen italienischen Gemütlichkeitszuschlag, sprich lange Wartezeiten.
Mit der Einlage einer kleinen Sightseeing-Tour zum Dörfchen Populonia während unserer Anfahrt nach Massa Marittima erreichten wir dieses sicher und auch noch pünktlich zum Abendessen.
Das, was sich schon als Beschreibung im Net sehr gut anlas, übertraf dann auch unsere Erwartungen. Erst das leckere Essen in 5 Gängen, (Göttlich übrigens der Nachtisch mit anhängendem Espresso, „Platz, Peng“) und dann die Sichtung unserer Scott-Genius-Leihpferde, die uns die kommenden Tage über die Trails der Maremma führen sollten.
Und die Feststellung, dass wir als deutsche Landsmänner doch ziemliche Exoten waren. Klar denkt jetzt jeder natürlich, dass die Italiener in der Überzahl sind, wenn er nach Italien fährt. Aber Pustekuchen… Die Bikestation war fest in der Hand von Schweitzer Eidgenossen.
Wir wurden dann auch direkt in die Feinheiten des schwiezerdütschen Dialektes eingeführt.
Nach unserem deliziösen Mahl erhielten wir noch die Schlüssel für unsere Zimmer in unserer Residenza, (schicke Zimmer in einem Haus aus dem 14. Jahrhundert !!! ) die sich strategisch günstig für ein erstes Absackerbier nur 5 Gehminuten vom Marktplatz in Massa Marittima befanden.
Martin wurde bei der Verteilung der Zimmer vor die Wahl gestellt: “ Tor 1 oder 2″. Martin entschied sich für Tor 1 und hatte natürlich den Zonk, sprich Udo, seines Zeichens ein begnadeter Schnarcher, dahinterstecken. Eine Runde Mitleid („Ohhh, armes Hascherl…“) später und nach der Ausgabe von Ohrenstopfen an Martin waren wir in unseren Zimmern zur Nachtruhe verschwunden.
Am nächsten Morgen küsste uns die Sonne wach und nach Herstellung einer vereinskonformen Kleiderordnung nahmen wir ein für italiensche Verhältnisse üppiges Frühstück mit lecker, lecker Kaffee ein (Anmerkung des Autors: Normalerweise scheue ich Kaffee wie der Teufel das Weihwasser, aber bei dem Stöffchen, das in Bella Italia kredenzt wird, könnte ich zum überzeugten Koffeinjünger werden!! ).
Frisch gestärkt ging´s dann (wie unsportlich) mit dem Auto zur Bikestation, um unsere Bikes entgegenzunehmen. Ein klein wenig Feinarbeit bei den Lenker-Hebeleien und der Sattelneigung und wir waren bereit, uns den einzelnen Gruppen entsprechend unserer Leistungsfähigkeit anzuschließen.
Bescheiden wie Stefan, Udo und Martin sind, wählten Sie von 7 möglichen Gruppen die mittlere.
Ich befand mich dagegen noch in Zweifel, ob ich es wagen sollte in der Gruppe 2 oder gar in der Spitzengruppe 1 zu fahren. Die entgültige Entscheidung wurde mir durch Ernesto, dem Betreiber der Bikestation mit seiner Aussage: „Du hast rasierte Beine, du kannst in getrost in Gruppe 1 fahren!“ vorerst leicht gemacht.
Chiumba, unser Guide, belehrte mich dann persönlich im Laufe der ca. 68 km und 1300 Höhenmeter langen, mit vielen Singletrails und knackigen Auffahrten bestückten Tour, eines besseren. Merke: Allein rasiert Beine machen keine fehlende Kraftausdauer wett!! : – (((((
Aber egal, genug gejammert. Geile Singletrails dort unten in der Maremma, die sich eng an undurchdringliches Buschwerk schmiegten. An bestimmten Passagen ließ sich ein kurzer Blick auf das Mare erhaschen. Die steinigen und ausgewaschenen Passagen des Weges sind immer gut für den einen oder anderen Snakebite. So mir passiert bei der ersten Abfahrt. Na klasse, natürlich keine Pumpe und keinen Reifenheber dabei! Aber ein Schweizer aus meiner Gruppe erklärte sich solidarisch, hatte an gleicher Stelle auch einen Plattfuß zu beklagen und hatte wie der Zufall es so wollte, eine Pumpe dabei.
Ein weiterer seiner Landsmänner wurde dann 200 Meter weiter von seinem Pferchen abgeworfen. Die Blessuren waren schonerheblich, und am Ende der Tour wurde bei einem Bier festgestellt, dass er sich bereit bei den vorher gehenden Fahrten als fleißiger Sammler von Hautabschürfungen erwiesen hatte, was er aber durchaus mit Humor nahm.
Touristische Highlights, wie Erdwärmekraftwerke, Ausblicke zum Meer und auch ehemalige Bergwerke wurden geschickt von unserem Guides vorgestellt.
Nicht genug damit, das wir uns alle auf die technisch teilweise schon recht anspruchvolle Strecke konzentrieren mussten, nein auch bei der Konversation mit den Schweizern fielen Worte wie: „abbeschalde“, “ Rambe“ „Brutalsolit“ (Hääääää ?????), die uns einiges an Aufmerksamkeit abverlangten.
Wie auch die Tatsache, das entlang des Weges viele Dornen lauerten. Die Worte von Bruno, dem Gruppen-Guide von Stefan und Martin, waren noch nicht ganz verklungen, als Martins Bike, das gerade ausrollte, nur noch „phhhhhhhssss“ machte. Wenn das kein Timing ist ?!
Ansonsten verlief die Tour bis auf einen kleinen Schwächeanfall von Udo ereignislos.Er zog es vor, nach unserer Mittagpause im Wald, wo es Nudeln auf Rädern gab, mit einer elitären Gruppe von „Verwundeten“ den Restweg auf der Straße zu absolvieren.
Am Ende fanden wir uns alle vor dem Agriturismo auf der Sonnenterasse ein, um das wohlverdiente Bier zu zelebrieren und chill-down betreiben zu können. Aus einem wurden letztendlich 5 große Bierra und mit dem Sinken der Nachmittagssonne gen Horizont senkte sich (ausser bei mir, da ich Fahrdienst hatte) auch die Auffassungsgabe meiner drei Kumpanen. Urlaub ist so schön. :- )))
Gepudert und schön gemacht ging´s zum Abendessen in eine Pizzeria am Marktplatz in Massa Marittima. Dort schmeckte für unsere deutschen Gaumen auch alles recht annehmbar, aber warum gingen alle Einheimischen zur Pizzaria direkt nebenan ?????
Der nächste Tag, der Samstag, stand dann im Zeichen einer eigenorganisierten Tour. Von Patricia, dem netten Fräulein von nebenan an der Rezeption, erhielten wir dann ausgiebiges (kopiertes) Kartenmaterial, mit Hinweisen wie: „Dort findet ihr einen geilen Singletrial… , achtet hier auf die Einfahrt zum Weg, sonst verfahrt ihr euch….“. Natürlich haben wir uns das alles sehr zu Herzen genommen. Ich habe als BDR-lizenzierter MTB-Guide all mein Wissen über Kartenlesen und Orientierung in die Waagschale geworfen, und was hat´s genutzt ???? Einfahrt verpasst, Singletrail nicht gefunden, Umweg gefahren !!!
Und zur Freude von Udo, der wegen der Mittagshitze schon arg abgekämpft war, legten wir noch eine kleine Abfahrt auf der Straße als Sondertour ein, die damit endete, dass wir uns letztendlich am Anfang der Ortschaft wiederfanden, wo es bereits eine ¾-Stunde vorher in die Wand durch den Wald ging.
Drei Flucher und 4 Keucher später waren wir wieder oben, dort wo wir auch eben schon mal waren. Nochmalig auf die Karte geschaut. Aha, die Abzweigung ist ja gar nicht die, als welche wir sie gedeutet hatten. Dank der tatkräftigen Unterstützung von Stefan (kein lizenzierter MTB-Guide, schäm… :- ((( ) fanden wir wieder den rechten Weg. Dieser führte uns an ein einsam an der staubigen Straße gelegenes Cafe. Der arme Mann dort bekam fast einen Herzkasper, als wir unsere Rösser an seine Hecke und Pflanzen, in unserer Sichtweite, lehnen wollten.
Aus dem italienischen Wortschwall, der über uns hereinbrach, den ich mit meinen fast einzigen italienischen Worten: „Mi dispace, non parla Italiano“ aufhalten wollte, konnten wir uns herausdenken, dass wir die Räder sicher hinter dem Haus deponieren konnten/sollten.
Das hielt uns aber anschließend nicht davon ab, uns die Nudeln al´oglio schmecken zu lassen. Ruckzuck waren wir mit Kohlenhydraten vollgepumpt und ließen mit Kette rechts die letzten 8 km hinter uns.
Danach schauten wir wieder der Sonne auf ihrem Weg nach unten zu und genossen den Geschmack von Weizen-Bier und sonstigen isotonischen Getränken. Am Abend ließen wir es uns bei einem Viergänge-Menü in einem Ristorante gutgehen. Gelati und 2 Café und Latte Macchiato (lecki….) sorgten dafür, dass alle wieder knapp an der Platzgrenze des Magens waren.
Ich durfte mich dann als Quittung an einer unruhigen Nacht erfreuen, weil mich Kaffee = Koffein zu später Stunde gerne wach hält.
Sonntag war´s und heute sollte Sightseeing auf dem Programm stehen. Zumindest vorerst für Udo, Stefan und Martin, die sich die örtlichen Schwefelquellen anschauen wollten.
Als harter Kerl habe ich dann auch den dritten Tag für eine Trainingseinheit genutzt. Die neu eingetroffenen Gruppen, von natürlichSchweizern, wurden neu gemischt. Ich habe mich wegen meiner rasierten Beine auch wieder in Gruppe 1 wiedergefunden.
Leider war am Sonntag nicht alles so, wie es sein sollte. Mein Magen rebellierte, die Gruppe war dann doch ein wenig zügigerunterwegs als gedacht und ich musste fortan mit dem schwarzen Fleck auf meinem Ego leben, dass ich in eine langsamere Gruppe gewechselt bin.
Der ganzen Sache hat dann noch die Aussage eines Mitgliedes der Schweizer Gruppe die Krone aufgesetzt, als ich bemerkte, das alle sehr zügig unterwegs waren: „Warum, ischt doch gemütliches Bummeln..“ (Anmerkung des Autors: Knurr…) Als ausgleichende Gerechtigkeit, wurde dieser Hochmut mit einem kapitalen Sturz bestraft. Neben zahlreichen Schürfwunden trug dieser auch einen geknackten Helm und, Gott sei Dank, nicht Kopf von dannen.
Alte Marathonisti-Regel: Merke, was du auf der Abfahrt mit einem Sturz an Zeit verlierst, kannst du nimmer mehr bergauf reinholen !“
Und sich dann noch im Anschluss blutverschmiert auf die Terrasse setzen zum Posen. (Persönliche Anmerkung: „So ein Prollo“).
Nach getaner Fahrt hieß es dann, Abschied von Massa Marittima zu nehmen. Den (Leih)-Pferdchen tschüß gesagt, bezahlt für´s Quartier und unser Bus(p)fahraro Udo entführte uns auf landschaftlich schönen, kurvigen Strecken (Kotz) nach Siena. Diesem kehrten wir mit schleichendem Tinitus den Rücken, nachdem wir Helden in Strumpfhosen, die bei einem Umzug mit Maximalkraft ihre Trommeln malträtiert hatten, beiwohnen konnten.
Letzte Anlaufstelle vor Pisa war San Gimilgiano, wo wir beim Weltmeister der Gelatiere ein wahrhaft meisterliches Eis zwischen all den Touries und Geschlechtertürmen genossen.
Bei der Abfertigung am Flughafen konnten wir dann dem Oben-ohne Striptease (Hechel, Lechz, Geifer) einer Deutschen „Was soll ich denn noch ausziehen ?“ beiwohnen, die dies als letztes Mittel ansah, da Sie von der Zollbeamten bereits mehrere Male durch den Metalldetektor gejagt wurde, der seine Aufgabe zu verbissen sah.
Zuhause kamen wir mitten in der Nacht am Flughafen Hahn an. Und Deutschland empfing uns ziemlich frostig. Pisa 25 Grad Celsius und Hahn 3 Grad und Frost auf der Autoscheibe, so dass wir uns die Sicht erst einmal freikratzen mussten.
Hundemüde, aber um einige erlebnisreiche Tage bereichert kamen wir zuhause an.
Wer jetzt Appetit auf gleiches bekommen hat, ei guckschte hier: www.massavecchia.it
(Keine Angst: Website ist auf Italienisch, Englisch und Deutsch. Mailanfragen werden bei Bedarf natürlich auch in unserer
Muttersprache beantwortet)
Kleines Schwiezerdütsch-Lexikon:
Abbeschalde = Herunterschalten
Brutalsolit = Hammerhart
Rambe = Auffahrt
Schiebebremsche = Scheibenbremse